Bürgermeister legt Widerspruch gegen Tiefgaragen-Ratsbeschluss ein

Widerspruch gemäß Paragraf 54 der Gemeindeordnung NRW, um Schaden von der Stadt abzuwenden

Aus tiefer Sorge um die Zukunftsfähigkeit der Ratinger Innenstadt hat Bürgermeister Klaus Pesch zum ersten Mal in seiner Amtszeit Widerspruch gegen einen Ratsbeschluss nach §54, Abs. 1 GO NRW eingelegt. Der Beschluss des Rates vom 26. November 2024, durch den der am 15. November 2022 beschlossene Bau der Tiefgarage Wallstraße gestoppt wurde, ist nach der festen Überzeugung des Bürgermeisters in hohem Maße dazu geeignet, der Stadt Ratingen massiv zu schaden. Für einen solchen Fall steht dem Bürgermeister gemäß Paragraf 54 der Gemeindeordnung NRW das Recht zu, binnen einer Frist von drei Tagen formell Widerspruch einzulegen. In Folge des Widerspruchs muss sich der Rat erneut mit dem Thema befassen. Die entsprechende Sitzung findet am Mittwoch, 11. Dezember, 18 Uhr statt. Nachfolgend die Widerspruchsbegründung des Bürgermeisters im Wortlaut:

Widerspruch nach § 54 Absatz 1 Gemeindeordnung NRW gegen den Ratsbeschluss zur Tiefgarage Wallstraße vom 26. November 2024

Zum ersten Mal in meiner bislang zehnjährigen Amtszeit als Bürgermeister sehe ich mich gezwungen, einem Beschluss des Rates der Stadt Ratingen gemäß Paragraf 54 Absatz 1 Gemeindeordnung NRW formal zu widersprechen, um Schaden von der Stadt Ratingen abzuwenden.

Der in der Ratssitzung am 26.11.2024 unter TOP 3a auf Antrag der Fraktion der Bürger Union gefasste Beschluss zur Aufhebung des Baubeschlusses für die städtische Tiefgarage Wallstraße schadet der Stadt Ratingen immens – und zwar auf verschiedenen Ebenen, auf vielfältige Weise und auf lange Sicht.

Der wirtschaftliche Schaden für die Stadt Ratingen ist immens und offenkundig:
 

  • Der Bau- und Vergabeausschuss des Rates hat am 25. Januar 2023 einstimmig auf Basis der durch den Stadtrat zur Verfügung gestellten Haushaltsmittel (17,5 Mio. Euro brutto) die Vergabe der nahezu kompletten Planungsleistungen für die Tiefgarage (Planungsphasen 1-8) beschlossen. Die Gesamtauftragssumme belief sich auf rund 2,8 Millionen Euro.
     
  • Ein großer Teil dieser Planungsleistungen (bis Planungsphase 5) wurde durch das beauftragte Architekturbüro bereits erbracht und bezahlt. Gemäß Vertragsrecht müssen aber auch die noch nicht erbrachten, aber beauftragten Planungsleistung vergütet werden, ganz egal, ob die Tiefgarage gebaut wird oder nicht. Diese Planungen sind standortspezifisch und können nicht für einen etwaigen Tiefgaragenbau an anderer Stelle genutzt werden. Das bedeutet: 2,8 Millionen Euro Planungskosten sind verloren, wenn die geplante Tiefgaragenerweiterung an der Wallstraße nicht gebaut wird.
     
  • Ebenfalls verloren sind eine Million Euro, zu deren Zahlung sich der Investor der Wallhöfe als objektgebundener Zuschuss zum Bau der Tiefgaragenerweiterung an der Wallstraße verpflichtet hat.
     
  • Der unmittelbare finanzielle Vermögensschaden zum Nachteil der Stadt Ratingen und damit zu Lasten der steuerzahlenden Bürgerinnen und Bürger sowie der in Ratingen ansässigen Unternehmen beläuft sich also auf 3,8 Millionen Euro. Die abgestimmten Überlegungen, dem Bürgermeister die Möglichkeit zu geben, bis Februar 2025 die Möglichkeiten einer Privatinvestition in die Tiefgaragenerweiterung zu eruieren, wurden mit dem jüngsten Beschluss des Stadtrates massiv vorbelastet oder de facto fast unmöglich gemacht. Damit wurde die Chance, den mit 3,8 Mio. Euro bezifferten Vermögensschaden abzuwenden, sehenden Auges verworfen, die endgültige Realisierung dieses enormen Vermögensschadens zum Nachteil der Stadt Ratingen wurde billigend in Kauf genommen.
  • Die verlorenen Kosten und projektgebundenen Einnahmen in der bezifferten Gesamthöhe von circa 3,8 Mio. Euro betragen ein Viertel der ermittelten Nettogesamtkosten in Höhe von rund 14,5 Mio. Euro für den Bau der Tiefgaragenerweiterung an der Wallstraße. Um die Tiefgarage zu bauen, müssten auf Basis der ganz aktuellen DIN276-Kostenberechnung der Architekten vom 19.11.2024 weitere elf Millionen Euro netto investiert werden. Diese Bauinvestition würde einen wirtschaftlich rentablen Vermögenswert schaffen und durch Einnahmen aus der Bewirtschaftung der Tiefgarage schon mittelfristig ausgeglichen werden; langfristig können durch solche zukunftsorientierten rentablen Investitionen dann erhebliche Gesamtüberschüsse erzielt werden.
  • Zu dem unmittelbaren Schaden in Höhe von 3,8 Millionen Euro dürfte ein zusätzlicher langfristiger wirtschaftlicher Schaden kommen, der dadurch entsteht, dass die Attraktivität des Einkaufs- und Wohnstandorts Innenstadt, insbesondere in den Bereichen der Wallstraße, Düsseldorfer Straße und darüber hinaus massiv ausgehöhlt wird.
  • Sehenden Auges bewusst in Kauf genommen wird außerdem der mittelfristig erkennbar massiv gefährdete Bestand von Edeka und Aldi in den Wallhöfen. Damit wird dem Downgrading der Innenstadt Vorschub geleistet, mit allen negativen Folgen, die daraus für die gesamte Stadt erwachsen.
  • Den Ratinger Bürgerinnen und Bürgern wird durch den Aufhebungsbeschluss vom 26. November 2024 das in der ersten Parkstunde unentgeltliche Parkplatzangebot im Kernbereich der Innenstadt bewusst genommen und auf Dauer vorenthalten.
     
  • Gleiches gilt auch für die Mieterinnen und Mieter der Wallhöfe, die jetzt dauerhaft in einem 67-Wohnungen-Objekt ohne eigene Stellplätze verbleiben sollen. Dies wäre in allen anderen Wohnprojekten, an denen die Stadt nicht mittelbar involviert ist, völlig undenkbar. Die etwa zur gleichen Zeit erteilten Baugenehmigungen für die in nächster Nachbarschaft liegenden Wohnungsbauvorhaben der Wohnungsgenossenschaft Ratingen eG an der Gartenstraße / Hans-Böckler-Straße und der Wohnungsgenossenschaft Essen Nord an der Bechemer Straße / Ecke Europaring wären mit absoluter Sicherheit nicht ohne die notwendigen Bewohnerstellplätze in objekteigenen Tiefgaragen geplant und genehmigt worden. Für derart fundamental gegensätzliche Entscheidungen ist keine tragfähige Begründung erkennbar.

Der Schaden für den Ruf der Stadt Ratingen als verlässlicher Partner für Investoren sowie für Bürgerinnen und Bürger ist immens und offenkundig:
 

  • Der Rat der Stadt hat am 15. November 2022 den Bau der Tiefgaragen-erweiterung an der Wallstraße beschlossen, und zwar ganz ausdrücklich als flankierende Maßnahme zum Bau der Wallhöfe Ratingen. Auf Wunsch der Stadt Ratingen wurden zur Stärkung des Einzelhandels im Kernbereich der Innenstadt große Einzelhandelsflächen in den Wallhöfen geschaffen und dafür bewusst auf Stellplätze im ersten Untergeschoss der Wallhöfe-Tiefgarage verzichtet. Die notwendigen Stellplätze für die Mieterinnen und Mieter der Wallhöfe sowie für Besucherinnen und Besucher der Innenstadt sollten stattdessen in der städtischen Tiefgaragenerweiterung an der Wallstraße geschaffen werden.
     
  • Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen müssen sich auf Ratsbeschlüsse verlassen können, ganz gleich, ob aus ihnen ein formalrechtlicher Anspruch erwächst oder nicht. Der Vertrauensverlust, der eintritt, wenn von diesem Prinzip abgewichen wird, ist unermesslich. Er wird auf Jahre hinaus der unerlässlich notwendigen Vertrauensbasis zwischen Stadt und potenziellen Investoren den Boden entziehen.
     
  • Dies gilt in besonderem Maße, wenn es keinen zwingenden Grund dafür gibt, einen Ratsbeschluss zu revidieren. Anders als zur Begründung des jüngsten Aufhebungsbeschlusses behauptet, gibt es keinen derartig unausweichlich zwingenden Grund, den Ratsbeschluss vom 15. November 2022 aufzuheben.
     
  • Die für die geplante Tiefgaragenerweiterung an der Wallstraße entscheidenden Rahmenbedingungen sind immer noch die gleichen wie am 15. November 2022, als der Baubeschluss gefasst wurde.
     
  • Die Notwendigkeit ist unverändert gegeben, die Baukosten sind nicht gestiegen, die Finanzierung mit eigenen Mitteln der Stadt ist gesichert, und zwar ohne Gefahr für andere städtische Investitionen mit hoher Priorität, etwa in Kitas und Schulen.

Der Schaden für die Stadtentwicklung in der Innenstadt ist immens und offenkundig:
 

  • Die Stadt Ratingen realisiert seit mehr als einem Jahrzehnt mit anhaltenden, breit getragenen Ratsmehrheiten einen gesamtheitlichen Plan zur Erneuerung und Modernisierung der Innenstadt, insbesondere der südlichen Innenstadt. Dieses integrierte Handlungskonzept umfasst eine Vielzahl von kleineren bis sehr großen Projekten, die in ihrer Wirkung und Funktion untrennbar miteinander verbunden sind – vom Neubau des Stadttors an der Bechemer Straße über Markt 17-20, das Rathausprojekt in seiner Gesamtheit mit der erheblichen Aufwertung des Umfelds und der Tiefgarage bis hin zum Neubau des ZOB am Düsseldorfer Platz und schließlich dem Abriss des Hertiehauses und der Neugestaltung der angrenzenden Wallstraße.
     
  • Diese Projekte greifen gewissermaßen wie Zahnräder ineinander, um den erwünschten Effekt zur Attraktivierung und Vitalisierung der Innenstadt zu erzielen. Das gilt in ganz besonderem Maße für die Projekte an der Wallstraße, die eine starke verbindende und integrierende Funktion haben. Die frühere trennende Wirkung des Hertie-Klotzes wurde durch den Bau der Wallhöfe mit dem direkten Durchgang von der Fußgängerzone zum neuen ZOB überwunden. Die frühere Straßenrandbebauung an der Wallstraße wurde zugunsten eines Parks am unmittelbaren Rand der Innenstadt abgerissen.
     
  • Die Wallstraße steht für drei zentrale Kernziele des Gesamtkonzepts Innenstadt:

    1. Schaffen großflächigen Einzelhandels,
    2. Tor zur Innenstadt für alle Verkehrsmittel (Busse u. Straßenbahnen, Fahrräder, Pkw-Individualverkehr),
    3. Erholungsfläche als grüne Lunge im Zentrum von Ratingen.

     
  • Die Tiefgarage Wallstraße ist eine tragende Säule dieses Gesamtkonzeptes zur nachhaltigen Attraktivierung der Ratinger Innenstadt. Würde sie nicht realisiert, wäre das Gesamtkonzept einsturzgefährdet. Die Stadt Ratingen braucht dringend moderne Parkplätze in der Innenstadt, eine ansprechend gestaltete Parkgarage mit Elektro-Ladesäulen für die Mobilität der Zukunft. Die meisten anderen Parkgaragen in Ratingen sind sehr in die Jahre gekommen, zum großen Teil sanierungsbedürftig, in jedem Fall erfüllen sie nicht heutige Standards. Unabhängig von der reinen Zahl der Stellplätze wirkt sich auch deren Qualität massiv auf die Attraktivität einer Innenstadt aus.
     
  • Mangels anderer Standorte bietet sich der Stadt Ratingen an der Wallstraße die einmalige Chance, ein solches Projekt zu realisieren. Diese Chance darf nicht verspielt werden.

Zur weitergehenden und vertiefenden Begründung wird auf die Vorlagen 243/2024 und 243/2024, 1. Ergänzung, verwiesen.

Klaus Pesch

(Bürgermeister)