STEFAN BALKENHOHL

Stephan Balkenhol gehört zu den wichtigsten Vertretern der zeitgenössischen figurativen Skulptur. In seinen Arbeiten greift er auf Motive wie Tiere, Mischwesen und immer wieder die menschliche Gestalt zurück, die er durch mimische Reduktion, verhaltene Geste und schlichte Bekleidung zu einem neutralen Typus entindividualisiert darstellt.   

Balkenhol wurde 1957 im hessischen Fritzlar geboren. Seine erste Berührung mit der zeitgenössischen Kunst hatte er während der Dokumenta V, 1972. Durch diese Erfahrung fasste er den Entschluss, bildende Kunst zu studieren, wie er in verschiedenen Interviews erwähnt. Von 1976 bis 1982 studierte er an der Hamburger Hochschule für Bildende Künste bei Ulrich Rückriem. Noch während des Studiums entwickelte Balkenhol eine besondere Affinität zu dem Material Holz. Einem Material, das es ihm ermöglicht, in einer für ihn angemessenen Geschwindigkeit zu arbeiten. Auch die figürliche Darstellung hat er noch während dieser frühen  Phase für sich entdeckt. Seine grob gearbeiteten Skulpturen sägt, schlägt und schnitzt er dabei - bis heute bevorzugt - aus dem Holz, welches er anschließend farbig fasst. Seit 1992 ist er Professor an der Akademie der bildenden Künste in Karlsruhe. Er lebt in Karlsruhe und Meisenthal in Lothringen und unterhält ein Atelier in Berlin.

Skulpturen und Objekten im öffentlichen Raum zu begegnen, ist uns vertraut. Seit jeher werden Skulpturen als Denkmäler und  Mahnmale im Außenraum aufgestellt. Ihr Sinngehalt ist es, Persönlichkeiten zu ehren oder auf historische Gegebenheiten zu verweisen. Es sind Zeichen der Erinnerung. Was aber hat Stephan Balkenhol hier für ein Zeichen gesetzt? Ein Hirsch, in dessen Geweih sich ein kleiner, sitzender  Mann befindet. Eine ganz ungewöhnliche, schon absonderliche Situation, die uns hier auf der Anhöhe im Landschaftsschutzgebiet Angertal präsentiert wird. Begegnet man einer Figur Stephan Balkenhols wirkt sie ebenso vertraut wie befremdlich. Man wird von ihr stets auf eine gewisse eigentümliche Art und Weise überrascht.

Balkenhol positioniert seine Figuren an Orten und Plätzen, die erst durch seine Figur definiert und in ihrer Besonderheit vom Betrachter wahrgenommen werden. [1]

So auch hier auf der Anhöhe im Angertal. Der Hirsch, in dessen Geweih sich ein kleiner Mensch befindet, steht auf einer für den Betrachter unzugänglichen, weil durch Weidezäune versperrten Wiese. Der Blick wird förmlich in Richtung dieses höchst unspektakulären Hügels gelenkt. Von Zeit zu Zeit wird die Szenerie durch weidendes Vieh belebt. Diese fast schon groteske Kulisse könnte kaum besser Balkenhols Intentionen unterstreichen. Denn zwischen Vertrautheit und Irritation, so möchte der Künstler seine Skulpturen verstanden wissen. Balkenhols Mann im Hirschgeweih kann somit humoristisch oder eben als Irritation verstanden werden.

Gehören Hirsche nicht in den Schutz des Walddickichts? Was macht er hier schutzlos auf der Anhöhe inmitten einer ganz anderen Gattung? Hat er sein Rudel zugunsten dieser Viehherde und seiner neuen Wahlheimat verlassen? Und was hat der kleine Mann in seinem Geweih zu suchen? Ist er vielleicht dafür verantwortlich, dass der Hirsch sich auf dieser Anhöhe befindet? Die stoische Ruhe von Hirsch und Mensch, ihre exponierte Position auf der Höhe des Hügels, die noch verstärkt wird durch ein eigenes Podest, entheben sie von der Umgebung und unterstreichen gleichzeitig, das ihr Erscheinen an diesem Ort kein Zufall ist.

Die Spannung zwischen der irritierenden Erscheinung und der ihr innewohnenden gelassenen Selbstverständlichkeit ist so groß, dass eine Auflösung unrealistisch scheint. Es gibt keine Auflösung, nur Fragen und daraus resultierende Geschichten.

Madalina Rotter

 

Standort:  Angertal/Höhe Steinkothen, 40883 Ratingen - Weide am Parkplatz

 

Literatur und Verweise:

Franzke, Andreas, Stephan Balkenhol. Public. Die Skulpturen im öffentlichen Raum 1984-2008, Mit Texten von Andreas Franzke & Eckhard Nordhofen, Ostfildern, 2009

Fleck, Robert. Stephan Balkenhol: Ausstellungskatalog Deichtorhallen Hamburg. Mit Texten von Robert Fleck, Laszlo Gloser, Thaddäus Hüppi und Thomas Macho, Bonn 2008

Stephan Balkenhol, Künstlerportrait, aus der arte-Serie Künstler hautnah, in: kunstathamburg vom 29.12.2011, Youtube

Balkenhol Bronzen (stephanbalkenhol.de)

 


[1] Eine weitere Version von „Mann im Hirschgeweih“ ist in Hannover auf der Fußgängerkreuzung Andreasstraße/ Schillerstraße zu sehen. Hier entwickelt die Figur im Kontext der Umgebung eine völlig andere Wirkung.