(von Erika Münster-Schröer)
Breitscheid, Eggerscheidt, Hösel, Homberg, Lintorf: Entstehung und
Verwendung von Wappen in der Zeit des Nationalsozialismus
Obwohl es für die Gemeinden schon vor 1933 gute Gründe gab, über ein
eigenes Hoheitszeichen zu verfügen, kann der Kontext, in welchen diese
Angelegenheit nach 1933 geriet, nicht außer Acht gelassen werden. Einige
kurze Anmerkungen mögen in diesem Rahmen genügen.
Nicht nur die "Heimatgeschichte", sondern auch kulturelle
Veranstaltungen, die im Brauchtum verankert waren, wurden von den
Nationalsozialisten gern für eigene Zwecke instrumentalisiert, so z. B.
die Schützenfeste - soweit die Schützenvereine nicht aufgelöst wurden.
Auch die Rosenmontagszüge in Ratingen waren davon betoffen, wobei die
NSV (= Nationalsozialistische Volkswohlfahrt) die gesamte Regie an sich
gezogen hatte, indem sie kräftige finanzielle Unterstützung leistete.
Dies wurde 1938, nachdem das NS-Regime allerorten auf sicherem Boden
stand und jeder Widerstand weit gehend ausgeschaltet war, ganz
offenkundig. Die Gegner des Regimes waren mundtot gemacht, und die
Entrechtung der Juden war bereits weit fortgeschritten. Die Kunst der
Moderne wurde als "entartet" verunglimpft; Maler, Musiker, Schauspieler,
Filmemacher - sie alle hatten Deutschland bereits zum großen Teil
verlassen.
So konnten die "Volksgenossen" unter sich feiern, und dafür eigneten
sich die Feste des Brauchtums besonders gut. Alle Ortsgruppen der NSDAP
im Kreis Niederberg waren 1938 von Kreisleiter Berns aufgefordert
worden, mit einem Wagen und Fußgruppen im Rosenmontagszug mitzuziehen.
Die zweite wichtige Großveranstaltung war das niederbergische Musikfest,
das im gleichen Jahr ebenfalls in besonders großem Rahmen gefeiert
werden sollte.
Der Pflege der Musik galt das Interesse der nationalsozialistischen
Machthaber aus ähnlichen Gründen, wie sie auch für die
"Heimatgeschichte" zutrafen: Musik wurde verstanden als "Ausdruck der
deutschen Volksseele", und man muss nicht eigens betonen, dass dies nur
für eine bestimmte Art von Musik galt, so wie auch alle Kunst und alle
Wissenschaft nicht mehr frei war, sondern nur noch Ausdruck
nationalsozialistischer Weltanschauung sein durfte.
Kreisleiter Berns hatte sich in zahlreichen Reden immer wieder selbst
zu diesen Aspekten geäußert, die an "Blut-und-Boden-Mentalität" nichts
zu wünschen übrig ließen. Nach seiner Auffassung, und so erklärt sich
sein Engagement auch in den Wappenfragen, hatten die Landgemeinden
gegenüber den Städten eine besondere "Mission", weil, so seine
Überzeugung, "das gesunde Volkstum" allein aus dem "Bauerntum" komme.
Das von den umliegenden Großstädten eingekreiste Niederberg war nach
Berns Auffassung noch "ein Reservat gesunden Volkstums und echter
Volkskultur." Nicht nur die Pflege der Heimatgeschichte, sondern vor
allem auch der Volkslieder, war für ihn ein zentrales Anliegen.
"Politische Heimatkunde. Schriften zur Volksbildungsarbeit auf dem
Lande" war nicht zufällig der Titel einer Schriftenreihe der Deutschen
Arbeitsfront.
Das niederbergische Musikfest, das durchaus ein professionelles
Musikprogramm aufweisen konnte - es wurden Werke von Komponisten wie
Beethoven oder Wagner zum Besten gegeben - sollte 1938 alle bisher da
gewesenen Feste in den Schatten stellen. Im gesamten Bereich Niederberg
hatte man dafür geworben, und in Ratingen - wie auch in den
Nachbarstädten - liefen der Vorverkauf und die Anmeldungen über die
Geschäftsstelle der NSDAP.
Zur Inszenierung dieses Festes benötigte man auch die Wappen, und
zwar folgendermaßen: Sie wurden auf großen Schilden abgebildet, die von
Hitlerjungen aus dem ganzen Kreis in einem Umzug getragen wurden. Dazu
berichtete die Ratinger Zeitung: "Eine Neuerung, die symbolisch ist, die
von der Einheit des Kreises kündet. Die Vielfalt der Wappen, geeint in
dem niederbergischen Zeichen der Aehre und des Schlosses, der Industrie
und der Landwirtschaft, die dem Kreis das Gepräge geben."
Auch die anderen Wappen fast aller anderen Orte im Rheinland waren
durch Wolfgang Pagenstecher angefertigt worden, wobei nicht nur alte
Motive, sondern auch "moderne Errungenschaften" in die Darstellungen
einflossen: So zierte das Wappen der Gemeinde Erkrath nicht nur ein
springender bergischer Löwe, sondern "über einem grünen Tale eine
silberne Brücke auf zwei silbernen Pfeilen". Die Anregung dazu hatte
die nahe an Erkrath vorbeiführende neue Autobahnbrücke gegeben, die in
der Ratinger Zeitung als "Straße des Führers" bezeichnet wurde.
Der "Niederbergische Beobachter" stellte auf einer Sonderseite am
10.6.1938 fünfzehn "Wappenschilder Niederbergs" vor unter der
Überschrift: "Wappen - Sinnbild der Heimat". Von der Hand des Meisters
Pagenstecher geschaffen, sei jeder "Volksgenosse" durch die Art der
Wappen besonders angesprochen und bekomme eine besondere Beziehung zum
Wahrzeichen "seiner Stadt" oder "seines Amtes". Weiter hieß es in dem
Artikel: "Ein Wappen soll als ewiges Symbol durch die Generationen
gehen. Schon nach wenigen Menschenaltern wird es ein wertvolles Stück
Tradition . Traditionsgefühl, Sinn für Form und Symbolik mangelte jener
glücklich überwundenen Zeit vor dem Umbruch völlig, mußten ihr ohne
blutsmäßige Gebundenheit fehlen. Der Nationalsozialismus aber sieht mit
Recht in diesen ,Unwägbarkeiten' Lebenswerte, deren wir nicht entraten
können und wollen. So war es denn ein ungemein fruchtbarer und
glücklicher Gedanke von Kreisleiter Dr. Berns, Kreis und Gemeinden
Niederbergs nicht nur Wappen, soweit letztere sie nicht schon besaßen,
zu geben, sondern diese Symbole zu besonderen Höhepunkten im Kreisleben
jeweils auch festlich herauszustellen. Ein Stadtwappen soll uns mehr
sein als ein auf den Dienstgebrauch in Amtssiegeln oder
Verwaltungsbriefköpfen beschränktes Zeichen, vielmehr Symbol der
Gemeinschaft einer Stadt, des ganzen Kreises, kurz: Sinnbild der
Heimat."
Allerdings drängt sich bei genauem Hinsehen der Eindruck auf, dass
nicht alle Stadt- und Gemeindevertreter Niederbergs die Vorgehensweise
des Kreisleiters schätzten. Es fällt zunächst auf, dass man sich um die
Bezahlung der Wappendarstellungen und der Schilde stritt. Klagen kamen
zum einen von dem Heraldiker Pagenstecher, der mehrfach ausstehende
Rechnungen anmahnen musste.
Die Stadt Solingen fragte bei Amtsbürgermeister Hinsen nach, wieviel
Geld das Amt Ratingen-Land für die Schilde bezahlt habe, die beim
Musikfest verwendet worden seien, denn für die Solinger müsse man
feststellen: "Die saloppe Art, in der Herr Pagenstecher die beiden
Schilde ausgeführt hat, mag noch für den Entwurf von kleineren Wappen
angehen. Ganz unberechtigt ist es aber, die Ausführung des kleinen mit
100,- RM und die des großen Schildes mit 200,- RM in Rechnung zu
stellen, obgleich der große Schild nur wenige Zentimeter größer ist als
die kleinere Ausführung."
Auch die Stadt Ratingen war unzufrieden: Hinsichtlich einer
entsprechenden Rechnung, die sie nach dem Musikfest 1938 erhalten hatte,
schrieb sie zurück: Von ihrer Seite sei überhaupt kein Wappenschild in
Auftrag gegeben worden. Man bitte doch in Zukunft darum, darauf zu
achten, dass nur von ihr selbst ein Auftrag erteilt werden dürfe - es
ginge nicht um das Geld an sich. Das wurde auch anstandslos überwiesen.
Ähnliches wiederholte sich im Falle einer Standarte, die der Stadt
Ratingen geliefert wurde, jedoch von dieser nicht bestellt worden war.
Lapidar teilte Bürgermeister Wendt mit: "Die getroffenen Vereinbarungen
waren mir nicht mehr in Erinnerung. Nach Ihrer Darstellung bin ich aber
bereit, die Standarte zu übernehmen."
Die Hintergründe für diese Unstimmigkeiten lagen möglicherweise darin
begründet, dass Kreisleiter Berns das Ratinger Wappen abändern lassen
wollte, indem die Mauerkrone wegfallen sollte. Für das Bergische
Musikfest hatte Pagenstecher dieses Wappen auch schon in veränderter
Form dargestellt. Der Ratinger Bürgermeister Wendt schrieb 1938 an den
Heraldiker: "Das Wappenschild selbst hat die Verwaltung jedoch nicht
erhalten, nur einige Besucher des Musikfestes in Langenberg haben
dasselbe dort gesehen. Wie mir mitgeteilt wird, ist dieses Wappen aber
nicht vollständig, da die Mauerkrone fehlt und der Löwe sowie auch das
Rad eine andere Form haben. Ich bitte, das Wappen zu vervollständigen
und werde dann den gesamten Rechnungsbetrag überweisen." Und
Ortsgruppenleiter Peter Schneider hatte zuvor schon an Kreisleiter Berns
geschrieben: "Unter Bezugnahme auf das einschlägige Schreiben der
Kreispropagadaleitung vom 11. des Monats bitte ich nochmals, die
Angelegenheit nicht ruhen zu lassen, sondern von dort aus mit dem
Parteigenossen Pagenstecher zu verhandeln, oder die Angelegenheit mir zu
übertragen." Die Ratinger Ratsherren standen dem Ansinnen des
Kreisleiters, das Wappen abzuändern, vollkommen ablehnend gegenüber. So
hieß es in der Niederschrift zu einer nichtöffentlichen Beratung im
September 1938: "Die Ratsherren nahmen mit Verwunderung und Entrüstung
von der Absicht Kenntnis. Sie sind keineswegs geneigt, hierüber zu
diskutieren."
Kreisleiter Berns aber gab keine Ruhe und belästigte die Kommunen
weiterhin mit seinen Vorstellungen. Verfügten im Jahr 1938 endlich die
niederbergischen Städte und Gemeinden über Wappen, wie es seiner
Vorstellung entsprach, so verlangte er im nächsten Jahr 1939, zur
Umrandung des Wappenschildes solle, in Abstimmung mit den
Ortsgruppenleitern der NSDAP, jeweils ein Sinnspruch ausgewählt und
angebracht werden. Dieses Vorhaben wurde zunächst, nach dem Ausbruch des
Zweiten Weltkrieges, zurückgestellt, doch hakten Vertreter der Partei
immer wieder nach. Für die Gemeinden des Amtes Ratingen-Land ist nicht
überliefert, wie sie sich entschieden. Die Stadt Ratingen teilte jedoch
ihren Spruch 1940 der Ortsgruppe der NSDAP mit:
"In alter Festung aus sturmschwerer Zeit stehn
Dumeklemmer für Deutschland bereit".
Immer wieder suchten Privatpersonen, Unternehmen oder Vereine um die
Erlaubnis nach, die Wappen für Briefköpfe oder Werbezwecke nutzen zu
dürfen. Der Bürgermeister des Amtes Ratingen-Land, die einzelnen
Ortsbürgermeister wie auch der Bürgermeister Ratingens erteilten diese
Genehmigung mehrfach. Aber es gab auch Klagen über die
ungerechtfertigte Verwendung. Die Ruwa-Fleischwerke in Ratingen, deren
Firmenleitung eng mit der NSDAP verbunden war, hatten 1936 das
Stadtwappen auf den Banderolen ihrer Fleisch- und Wurstbüchsen
angebracht, was ihnen durch den Bürgermeister untersagt wurde.
Unberechtigte Aufdrucke auf Zigarrentüten und Flaschenetiketten
wiederholten sich mehrfach.
Zur Zeit des Nationalsozialismus wurde die "Heimatkunde" auch
propagandistisch für den Tourismus verwandt. Die "Schönheit der Heimat"
wurde immer wieder betont. So wurden vielerorts, so auch in Ratingen
1936, bald nach Amtsantritt des Bürgermeisters Wendt, Verkehrsvereine
neu gegründet, die den Fremdenverkehr beleben wollten. Aus dieser
Richtung wurde die Erstellung und Zur-Schau-Stellung der Wappen
ebenfalls sehr stark gefördert. In vieler Hinsicht lässt dies durchaus
an aktuelle Bestrebungen heutiger Kommunen denken, sich ein Signet
zuzulegen, das eine breite Identifikation und ein Wir-Gefühl befördern
soll. Hierüber gibt es heute immer wieder Auseinandersetzungen in der
Bevölkerung. Oftmals sind solche Signets, in Gegensatz zu den Wappen,
sehr kurzlebig.
Die Wappen, die zur Zeit des Nationalsozialismus entstanden waren,
wurden nach 1945 in der Regel weitergeführt. Einer kritischen Prüfung
wurden sie nicht unterzogen. Dies liegt wohl daran, dass die Symbolik
insgesamt recht unverfänglich ausgefallen war und insbesondere
Pagenstechers Wappen in heraldischer Hinsicht vielfach als gelungen
angesehen werden können. Wolfgang Pagenstecher schuf auch das Wappen des
nach 1945 neu entstandenen Landes Nordrhein-Westfalen, zu welchem neben
dem Rheinland und Westfalen noch das frühere Land Lippe kam. Ein neues
Wappen sollte den spezifischen Charakter aller drei Landesteile
symbolisieren. Es wurde ein Preisausschreiben ausgelobt, an welchem
sich, neben Malern und Heraldikern, auch die gesamte Bevölkerung
beteiligen konnte. So gingen über tausend Entwürfe ein, die in einer
Ausstellung dokumentiert wurden. Wolfgang Pagenstecher, der die
Landesarchivverwaltung beratend auf seiner Seite gehabt hatte, gewann
den Wettbewerb. Der silberne Rhein in grünem Feld für das Rheinland, das
springende silberne Pferd in rotem Feld für Westfalen und die rote Rose
in silbernem Feld, das ehemalige Wappen der Edelherren von Lippe,
wurden die Bausteine des neuen Landeswappens.
Warum alte und neue Wappen, unabhängig von ihrem Charakter als
Hoheitszeichen, noch immer für viele Bürger so attraktiv sind, ist eine
Frage, die schwer zu beantworten ist. Dies hängt möglicherweise mit
Fragen von Selbstvergewisserung und Identitätsfindung zusammen. In einer
Zeit, in welcher sich alles schnell ändert und die Mode von gestern
schon sehr viel älter aussieht, entwickeln sich Sehnsüchte nach
Beständigkeit. Sie treten oftmals an die Stelle von Erkenntnis und
Aneignung der Wirklichkeit. Aber gerade zu Letzterem sollte die
Auseinandersetzung mit Geschichte, insbesondere der "Heimatgeschichte",
führen. Diese, mit ihren Betreibern, das zeigt die Zeit des
Nationalsozialismus, hat sich oftmals nur zu gern instrumentalisieren
lassen.